Drei Fragen an Prof. Dr. Sahar Vahdati
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Prof. Dr. Sahar Vahdati hat seit Anfang Oktober 2024 eine Professur an der Leibniz Universität Hannover und leitet die Forschungsgruppe „AI and Scholarly Communication“ an der TIB. Im Interview spricht sie über ihre Forschung zu Künstlicher Intelligenz (KI), zukünftige Forschungsthemen und ihre bisherigen beruflichen Stationen und am heutigen „Internationalen Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft“ auch über die Rolle der Frauen in der Wissenschaft. Sie appelliert an alle jungen Mädchen, große Träume zu haben, an sich selbst zu glauben und sich von niemandem Grenzen setzen zu lassen, denn die Wissenschaft wartet auf diese Mädchen.
Frau Professor Vahdati, Sie leiten an der TIB seit einigen Monaten die Forschungsgruppe „AI and Scholarly Communication“. Was können wir uns darunter vorstellen?
Als KI-Wissenschaftlerin verbinde ich theoretische Forschung mit praktischer Anwendung in der Wissenskommunikation und -erforschung. Mein Fokus liegt auf der Entwicklung KI-basierter Lösungen, um Prozesse für Forschende zu vereinfachen. Außerdem möchte ich dazu beitragen, dass Wissen für die Gesellschaft leichter zugänglich, besser überprüfbar und verständlicher wird.
Prof. Dr. Sahar Vahdati // Foto: Sören Pinsdorf
Ein zentraler Aspekt meiner Forschung befasst sich mit großen KI-Modellen und ihrem Potenzial, die Entwicklung hin zu intelligenteren Systemen – künstlicher allgemeiner Intelligenz (AGI) – voranzutreiben. Dabei stellt sich die Herausforderung, dass diese Modelle verlässliche und korrekte Informationen liefern müssen – besonders in sensiblen Bereichen wie Wissenschaft und bei der Bekämpfung von Falschinformationen. Die TIB verfügt über umfangreiche wissenschaftliche und historische Wissensbestände, die helfen können, KI-Systeme genauer und zuverlässiger zu machen. Wenn wir dieses Wissen gezielt nutzen, können wir sicherstellen, dass KI-basierte Werkzeuge Forschenden und der Gesellschaft vertrauenswürdige und verständliche Informationen liefern. Deshalb arbeite ich daran, KI-Systeme mit strukturiertem Wissen zu verbessern, ihr logisches Denken zu schärfen und Werkzeuge zu entwickeln, die evidenzbasierte Entscheidungen unterstützen.
Ich arbeite auch an der Verbesserung des logischen Reasoning (Schlussfolgern) von Large Language Models (LLMs) – von großen Sprachmodellen – und an der Entwicklung praktischer KI-Anwendungen wie wissenschaftsbasierten Chatbots, die entwickelt wurden, um Falschinformationen zu bekämpfen und die Verbreitung von Fake News zu verhindern. Diese Lösungen spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit korrekte und wissenschaftlich fundierte Informationen erhält. Das stärkt auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in Künstliche Intelligenz und die Wissenskommunikation.
Welche Themen oder Forschungsgebiete liegen Ihnen besonders am Herzen und bieten großes Potenzial?
Meine Forschung ist untrennbar mit Wissensgraphen, repräsentativem Lernen und intelligenter KI verbunden, insbesondere im Zusammenhang mit LLMs. Ich interessiere mich auch für agentenbasierte Systeme und Reinforcement Learning, um die Anpassungsfähigkeit, Autonomie und logische Konsistenz von KI zu verbessern.
Besonders spannend finde ich den Einsatz von KI in der Wissenskommunikation. Sie kann dazu beitragen, Wissen in Bereichen wie Bildung, Psychologie, Medizin, gesellschaftlicher Diskurs und Umweltforschung verständlicher und zugänglicher zu machen. Diese Bereiche profitieren erheblich von vertrauenswürdigen KI-Systemen, die sachliche Korrektheit, Nachvollziehbarkeit und eine ethisch verantwortungsvolle Verbreitung von Wissen gewährleisten – und so letztendlich das Vertrauen der Öffentlichkeit sowie die wissenschaftliche Zusammenarbeit stärken.
Heute, am 11. Februar, ist der „Internationale Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft“, der die Rolle würdigen soll, die Mädchen und Frauen in der Wissenschaft spielen. Noch immer ist der Anteil unter den Profesor:innen in Deutschland ungleich verteilt, weniger als ein Drittel sind weiblich. Wie sind Sie zur Wissenschaft gekommen und wie sah der Weg bis zur Professur aus?
Ich denke nicht nur an meinen persönlichen Weg, sondern auch daran, wie wichtig es ist, junge Mädchen, die von einer Zukunft in der Wissenschaft träumen, zu vertreten, zu ermutigen und zu stärken. Eine meiner wichtigsten Aufgaben ist es, jungen Mädchen zu zeigen, dass alles möglich ist – dass sie alles erreichen können, was sie sich vorstellen. Alles beginnt im Kopf.
Schon als Kind hatte ich einen großen Wissensdurst und Entdeckergeist und wurde mit vier Jahren das jüngste Mitglied der Stadtbücherei. Als meine Eltern dies sahen, förderten sie unbewusst meine Zukunft, indem sie mit mir ein Spiel spielten, in dem ich eine Universitätsprofessorin war und ihre Fragen zu meinen „Vorlesungen“ beantwortete. Was spielerisch begann, wurde zu einer starken Bestätigung, die meine Träume und Ziele formte. Aber mein Weg war nicht einfach. Ich war immer in der Minderheit – geboren und aufgewachsen im Iran, wo die Rechte der Frauen derzeit stark eingeschränkt sind, habe ich wirklich verstanden, was es bedeutet, sich nach Freiheit, Gleichheit und Chancen zu sehnen.
Ich lebe seit über 15 Jahren in Deutschland und hatte das Privileg, Frauen auf beiden Seiten der Freiheit und der Wissenschaft zu erleben – auf der einen Seite, wo Frauen ständig für ihre elementarsten Rechte kämpfen müssen, und auf der anderen Seite, wo sie ermutigt werden, zu träumen, zu führen und gleichberechtigt ihren Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Dieser Kontrast hat meine tiefe Wertschätzung für meine Wahlheimat Deutschland, für die Freiheit im Leben geprägt – und mein Engagement verstärkt, junge Frauen dabei zu unterstützen, ihre Träume in der Wissenschaft und in der akademischen Welt zu verfolgen.
Mein Weg zur Professur war hart, aber er hat sich gelohnt. Wenn ich es geschafft habe, dann werden es auch andere Frauen und Mädchen schaffen. Man muss träumen können, aber auch hart arbeiten und motiviert sein. Eine Familie, die einen unterstützt, und eine Gesellschaft, die einen ermutigt, können den Weg erleichtern, aber auch ohne diese Privilegien kann man erfolgreich sein – man kann sich durch Entschlossenheit und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten Möglichkeiten schaffen.
„Frau, Leben, Freiheit” ist und bleibt für immer der richtige Slogan für uns. An alle jungen Mädchen da draußen: Habt große Träume, glaubt an euch selbst und lasst euch von niemandem Grenzen setzen. Die Wissenschaft wartet auf euch!
Zur Person: Prof. Dr. Sahar Vahdati
Seit dem 1. Oktober 2024 leitet Prof. Dr. Sahar Vahdati die Forschungsgruppe „AI and Scholarly Communication“ an der TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften und Universitätsbibliothek in Hannover. Gleichzeitig hat sie die Professur für „Data Science and Digital Libraries“ an der TIB und der Fakultät für Elektrotechnik und Informatik der Leibniz Universität Hannover aufgenommen. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Wissensgraphen, repräsentativem Lernen und KI-gestütztem logischen Schlussfolgern, insbesondere im Zusammenhang mit großen Sprachmodellen – Large Language Models (LLMs).
Vor ihrem Wechsel zur TIB leitete Sahar Vahdati, geboren 1983, die Forschungsgruppe „Nature-Inspired Machine Intelligence“ an der Technischen Universität Dresden (TUD) im Rahmen des ScaDS.AI Center of Excellence. Diese organisationsübergreifende Forschungsgruppe wurde ursprünglich von ihr am InfAI-Institut – Universität Leipzig gegründet und später an die TUD verlagert. Ihre Arbeit wird nun in Kooperation mit der TIB und der LUH fortgesetzt.
Zuvor war Prof. Dr. Vahdati als Postdoktorandin an der University of Oxford tätig, wo sie sich mit fortgeschrittenen KI-Methoden beschäftigte. Ihren Masterabschluss und Doktorgrad in Informatik erwarb sie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, wo sie die Grundlagen für ihre Forschung in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen und Wissensrepräsentation legte.